von Claudia Breuer
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[1.] Cbr/Fragment 053 02 - Diskussion Zuletzt bearbeitet: 2020-02-15 22:59:10 Schumann | Cbr, Fragment, Gesichtet, SMWFragment, Schutzlevel sysop, Te Velde 1999, Verschleierung |
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Untersuchte Arbeit: Seite: 53, Zeilen: 2-28 |
Quelle: te Velde 1999 Seite(n): 304, 305, 308, Zeilen: 304: 12 ff.; 305: 2 ff.; 308: 5 ff., 20 ff. |
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Es ist schwierig, Wahrnehmungen von Wirklichkeit zu unterscheiden und manchmal ist die Existenz eines regionalen Nationalismus und einer nationalen Identität zu bezweifeln. Diese Unsicherheit dokumentiert sich auch in der Wortwahl. Anstelle von nationaler Identität wird von nationalem Charakter gesprochen. Anderson zufolge ist Identität kein „objektives Konzept wie Charakter, sondern ein Relationales, es bedient eine gewisse Selbstbewusstwerdung und ist sowohl tiefgehender als auch zerbrechlicher als Charakter“.148 Eine Möglichkeit, die Fehler der älteren Forschung zu vermeiden ist, mit einer Untersuchung von nationaler Identität zu eröffnen und die historische Entwicklung der entsprechenden Konzepte zu analysieren:149 Die vorhandene Literatur zum Nationalismus legt übereinstimmend das Ende des 18. Jahrhunderts als den Beginn moderner Konzeptionen von Nation fest. Die Mischung sozialer und moralisch-kultureller Kategorien war typisch für die Literatur über den nationalen Charakter in den Niederlanden. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Ambiguität zum Problem: Die Demokratisierung und politische Polarisierung dieser Zeit brachten eine heftige Diskussion über das Wesen der Nation mit sich.150 Die dominanten Liberalen hielten das tolerant eingestellte Bürgertum für das Rückgrat der Nation und die Verkörperung ihres Geistes. Die neugegründete calvinistische Partei vertrat die gleiche Einstellung im Hinblick auf das calvinistische Bürgertum.151 Nach der Ansicht der Sozialisten ist die Arbeiterklasse als produktive soziale Gruppe das Herz der Nation. Um friedlich nebeneinander leben zu können, ist es notwendig, jeden Kreis als integralen Teil der Nation zu akzeptieren. Während dieser Prozesse veränderte sich die Konzeption von Nation: Das soziale Element geriet in den Blickwinkel. In den 30er Jahren versuchte der Historiker Huizinga liberale Werte zu schützen; er zeigte nicht auf die liberale Bourgeoisie als die Lösung der Nation, sondern äußerte: „Wether [sic] we like it or not, we Dutchmen are all bourgeois – lawer [sic] and poet, baron and labourer alike. Our national culture is bourgois [sic] in every sense that you can legitimately attach to that word“.152 Ihm zufolge waren alle Niederländer bürgerlich [geworden.]
148 Vgl. Anderson, P., Fernand Braudel and National Identity, in: ders., A Zone of Engagement, Londen 1992, p. 267f. 149 Vgl. Frijhoff, W., T., M., Cultuur op termijn. Een verkenning van identiteit in de tijd, in: Bouw, C. und Kruithof, B. [Hrsg.], De kern van het verschil. Culturen en identiteiten, Amsterdam 1993, S. 17-40. 150 Vgl. für diesen historischen Abschnitt: Kuitenbrouwer, M., The Netherlands and the Rise of Modern Imperialism. Colonies and Foreign Policy, 1870-1902, New York 1991. 151 Diese konfessionelle Richtung vertrat die Meinung, dass die ‚Verchristlichung’ des alltäglichen Lebens unabhängig von der Unterstützung weltlicher Obrigkeit zu unterstützen ist. Das Zentrum der calvinistischen Aktivitäten in den Niederlanden lag zunächst in der Provinz Flandern. Die neue religiöse Ideologie fand hier ihre Anhängerschaft sowohl unter der ländlichen Lohnarbeiterschaft als auch unter der kaufmännischen Führungselite in den Städten 152 Huizinga, J., The Spirit of the Netherlands, in: ders., Dutch Civilisation in the Seventeenth Century, and other essays, London 1968, S,112. sowie vgl. Velde te, H., How Did the Dutch Fly? Remarks on Stereotypes of Burger mentality, in: Galema, A. u.a. [Hrsg.], Images of the Nation, Amsterdam 1993, p. 59-79 |
Wir haben begriffen, daß es schwierig ist, Wahrnehmung von Wirklichkeit zu unterscheiden, und manchmal bezweifeln wir sogar die Existenz einer greifbaren nationalen Identität überhaupt. Unsere Unsicherheiten und Reflexionen spiegeln sich in den Worten wider, die wir verwenden. Wir sprechen von nationaler Identität anstelle von nationalem ›Charakter‹. Perry Anderson zufolge ist Identität kein ›objektives‹ Konzept wie Charakter, sondern ein ›relationales‹, es bedingt eine gewisse ›Selbstbewußtwerdung‹ und ist ›sowohl tiefgehender als auch zerbrechlicher‹ als Charakter (Anderson 1992, S. 267 f.). Es ist deshalb schwierig geworden, die ältere Literatur zum nationalen Charakter für bare Münze zu nehmen, da ihr dieses reflexive Element fehlt und sie sich ihrer Aussagen deshalb zu sicher ist. Eine Möglichkeit, die Fehler der älteren Forschung zu vermeiden, ist es, mit einer Untersuchung von nationaler Identität dadurch zu beginnen, daß man die Geschichte der entsprechenden Konzepte analysiert (Frijhoff 1992; 1993).1
1 Van Sas hat viele Artikel über holländischen Nationalismus verfaßt, sonders über die Zeit von 1800. In englischer Sprache vgl. N. C. F. van Sas, »Varieties of Dutchness«, in: A. Galema, B. Henkes, und H. Velde (Hg.), Images of the Nation. Different Meanings of Dutchness 1870-1940, Amsterdam, Atlanta 1993, S. 5-16. [Seite 305] Die internationale Literatur zum Nationalismus legt übereinstimmend das Ende des 18. Jahrhunderts als den Beginn moderner Konzeptionen von Nation fest. [Seite 308] Die Mischung sozialer und moralisch-kultureller Kategorien war typisch für Literatur über den nationalen Charakter in den Niederlanden. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Ambiguität zum Problem. Die Demokratisierung und politische Polarisierung dieser Zeit brachten eine heftige Diskussion über das Wesen der Nation mit sich.4 Die dominanten Liberalen hielten das liberal eingestellte Bürgertum für das Rückgrat der Nation und die Verkörperung ihres Geistes, die neue calvinistische Partei dachte das gleiche über das calvinistische Kleinbürgertum, und die Sozialisten hielten daran fest, daß die Arbeiterklasse die einzig wirklich produktive soziale Gruppe und daher das Herz der Nation sei. [...] Jede Gruppe sollte als ein ›volksdeel‹, d. h. als ein integraler Teil der Nation, akzeptiert werden. Während dieses Prozesses veränderte sich die Konzeption von Nation. Das soziale Element geriet ins Blickfeld. In einer parlamentarischen Demokratie, wie es die Niederlande zum Ende des Ersten Weltkriegs geworden waren, zählten Zahlen. Die meisten Kommentatoren neigten nun dazu, Nationalcharakter weniger als die Essenz der Nation denn als ihren kleinsten gemeinsamen Nenner zu betrachten. Als in den dreißiger Jahren der berühmte Historiker Huizinga liberale Werte schützen wollte, zeigte er nicht auf die liberale Bourgeoisie als die Essenz der Nation, sondern sagte: »Whether we like it or not, we Dutchmen are all bourgeois - lawyer and poet, baron and labourer alike. Our national culture is bourgeois in every sense that you can legitimately attach to that word« (Huizinga 1968, S. 112; vgl. te Velde 1993). Ihm zufolge waren alle Holländer bürgerlich geworden. 4 Vgl. für diese Zeit etwa Kuitenbrouwer (1991) und das entsprechende Kapitel in Kossmann (1978). |
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